Theater

Goodbye Europe / Teil I / Wie ich den Mauerfall verpennte

Ein politisch-poetisches Theaterstück für drei SchauspielerInnen, eine Puppe und einen prominenten Gast

von [artfusion] / Bärbel Strehlau und Jakob Beubler & Gästen
Uraufführung: 18.04.13 / Palais Kabelwerk Wien
Premierengast: Marion Brasch (RadioEins Moderatorin in Berlin, Buchautorin)

Über das Projekt

„Das Geld ist der Henker aller Dinge.“ (Karl Marx)

Drei Unbekannte treffen vor Beginn einer TV-Show aufeinander. In dem Studio wird ein Küchentisch zur Projektionsfläche für Diskussionen, persönliche Geständnisse, öffentliche Statements, Skandale und Erinnerungen an eine längst in der Geschichte verschwundenen Zeit. Heiner Müller, als Puppe, schockgefroren und kaltgestellt im Gefrierfach unserer Epoche, sorgt mit seinen Aussagen: „Die Wahrheit ist nur eine Ameisenidee“, für Verwirrung. Jeden Abend wird auf einen anderen prominenten Gast gewartet, der sich in die Themenrunde mit seinen persönlichen Erfahrungen einbringt. Zusammen spinnen sie die Utopie eines neuen Gesellschaftsmodells.

Besetzung & Team

Darsteller: Jakob Beubler, Christina Scherrer, Boris Popovic

Regie/Choreographie und Text: Bärbel Strehlau

Ausstattung/Graphik: Stefanie Muther

Medienkünstlerin: Sophie Lux

Produktionsleitung/PR: Simon Hajos

Regieassistenz: Maida Karisik

Puppenspielcouching/Puppenbau: Atif Hussein (D)

Ausstattungsassistentin: Daniela Fessl

Musikalisches Arrangement: Bernhard Ludescher

Gesangscouching: Lise Huber

Licht: Svetlana Schwin

Fotos: Rebecca Buechler

Videomitschnitt: Robert Lunak

Medienkünslerin/Trailer: Sophie LUX

Fakten

von [artfusion] / Bärbel Strehlau und Jakob Beubler & Gästen
Uraufführung: 18.04.13 / Palais Kabelwerk Wien
Premierengast: Marion Brasch (RadioEins Moderatorin in Berlin, Buchautorin)

 

DIE DISKUSSIONSGÄSTE WAREN:

Heide Schmidt (LIF)
Dr. Ewald Judt (ehemaliger CEO von Pay-Life)
Paul Lendvai (Journalist und Publizist)
Maria Vassilakou (Vizebürgermeisterin von Wien)
Hubert Kramar (Schauspieler und Regisseur)
Erhard Busek (ehemaliger Vizekanzler von Österreich)

Video
Kritiken

Stefan Schlögl; freier Journalist; u.a. für DATUM, Seiten der Zeit, derStandard.at

Europa, das zeigte das Bühnenstück “Goodbye Europe! oder: Wie ich den Mauerfall verpennte” im Wiener Palais Kabelwerk, dieses Europa kann wider Erwarten auch prickelnd sein. Nicht bloß ein Mantra, mit dem man sich permanent selbst vergewissert, dass es toll sei “Europäer” zu sein – und gleichzeitig mit blankem Entsetzen dabei zusehen muss, wie eine Bande von Geldproleten ohne Benehmen, Gewissen und Kinderstube (Irland!) diesen Kontinent ausweidet. Was hatten diese Menschen bloß für Eltern? Wer hat ihnen diese Gier anerzogen? Welche Schulen besuchten sie? Wo erlernt man diese Geilheit, sich die Taschen vollzustopfen? Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass ich den Fall der Mauer auch verpennt habe. Oder um genauer zu sein: Ich kann mit den Codes der Geschichtsschreibung, die dieses 1989 im kollektiven Gedächtnis eingebrannt hat, diesen Jubel- und Wiedervereinigungsszenen nichts anfangen. Ich weiß bloß, wie es kurze Zeit nach der “Wende” in Berlin, in Prag und in Krakau war, nämlich traurig, trist, verwunschen – und voller Kinder in Erwachsenengestalt, die ihre Vergangenheit abgesprengt hatten, um sich an der neuen Freiheit zu erproben.

Jene Freiheit etwa, als Akademikern nun Kochtochsets aus Westproduktion zu verscheuern. Die Freiheit, sich von einem Roßtäuscher einen abgerippten Opel mit optimiertem Kilometerzähler andrehen zu lassen. Die Freiheit, sich eine Satellitenschüssel aufs Balkongeländer zu schrauben, obwohl der Wind durch die Fensterritzen pfiff. Das klingt – natürlich – überheblich und besserwisserisch. Wir hätten es, nach Jahrzehnten des institutionalisierten Mangels, nicht anders gemacht.

Hocherfreulich, dass “Goodbye Europe!” mit dieser Umbruchphase gleichermaßen intelligent als auch spielerisch umging. Zu erleben war ein quirliges Dokumentartheater, das kluge Fragen stellte – und sich gleichzeitig davor hütete, in tumbe Ostalgie zu verfallen. Zwischen 1989 und ergo der Implosion des Ostblocks bis zu den aktuellen Identitäts- und Wirtschaftskrisen in der Europäischen Union wird der Handlungs- und Reflektionsbogen gespannt, die drei Darsteller Jakob Beubler, Boris Popovic und Christina Scherrer sezieren mit Aplomb und Verkleidungsfuror den Umbruch von 1989 und dessen Folgen. Mittels ARD-Tagesschauen aus jenen historischen Tagen wurden Erinnerungen wachgerufen, schließlich aus der Kühltruhe der Neo-Klassiker Heiner Müller hervorgeholt.

In Puppengestalt trat der DDR-Vorzeigekünstler im Laufe des zweistündigen Abends immer wieder auf und durfte seine innere Zerrissenheit im Schatten des Umbruchs zur Schau stellen. Schlau inszeniert, ohne erhobenen Zeigefinger, arbeitete sich der Puppen-Müller an seiner Unentschiedenheit ab. Das Ende des Unrechtssystems des anderen Deutschlands war für ihn, als auch für die ebenfalls als Bühnengestalt auftauchende Schriftstellerin Christa Wolf der Verlust einer ideologischen Heimat, die ihnen von den Zeitläuften unter den Füßen weggezogen wurde. Mit der Ersatzreligion, dem in diesem Chaos keimenden “europäischen Gedanken”, konnten beide nichts anfangen.

Toll, im Palais Kabelwerk, einer kleinen Spielstätte abseits der großen kulturellen Fressmeile, ein so blendend aufgelegtes Ensemble erleben zu dürfen, das mit den aus Zitaten und O-Tönen von Heiner Müller, Christa Wolf, Rio Reiser oder Erhard Busek collagierten Texten so leichtfüßig umzugehen weiß. Letzterer enterte nach dem Schlussapplaus für ein Expertengespräch die Bühne. (An den Abenden zuvor traten Maria Vassilakou, Paul Lendvai oder Hubsi Kramar zur Betrachtung der Europäischen Union an.)

Busek gab, wie zu erwarten, den kurzweilig-altersklugen EU-Experten mit Gespür für die großen historischen Linien. Allerlei Forderungen, wie die Europäische Union nun zu verbessern sei, gingen da geschmeidig mit Wohlfühl-Rhetorik zusammen. Busek kann sich das erlauben: Im Gegensatz zu anderen Ex-Machthabern seiner Generation, die ihre Politiker-Pension nutzen, um Innovationen zu fordern, die sie während ihrer aktiven Zeit nicht einmal ignoriert haben, hat der Ex-ÖVP-Chef nach seinem vom Kleinformat forcierten Sturz in Europa nicht nur eine neue Heimat gefunden. Dieser prototypische Bürgerliche hat Europa bald zwei Jahrzehnte lang in unzähligen Initiativen und Bündnissen aktiv mit gestaltet – und sich nicht in seiner Politiker-Pension diversen Glücksspielkonzernen, Erdöl-Multis und Problemstaat-Potentaten an den Hals geworfen. Auch das kann das Fazit eines Theaterabends sein.


Maria Vassilakou, Vizebürgermeisterin von Wien

„Mal was Neues: Zu Gast im Theaterstück ‚Goodbye Europe“ im Palais Kabelwerk. Das Stück sei allen wärmstens empfohlen. Launig, energiegeladen dreht sich der Abend um den Fall der Berliner Mauer und unser Europa heute.“


Paul Lendvai, Publizist und Osteuropa-Experte

„‚Goodbye Europe!’ war ein anregendes und sehr originelles musikalisch-poetisches Theaterstück. Ich habe die Leistungen der SchauspielerInnen bewundert und war froh, dass ich die Einladung angenommen habe und vor einem sehr interessierten Publikum mitwirken durfte.“


Sara Schausberger, Falter, 19. Juni 2013

„Vieles klingt spannender als das: ein Theaterstück über die EU mit einem Expertengespräch im Anschluss. Umso beeindruckender, wie unterhaltsam und clever Bärbel Strehlaus politisch-poetisches Dokumentartheater „Goodbye Europe!“ ist. Drei Schauspieler und eine großartige Heiner-Müller-Puppe stellen sich den Themen DDR, Mauerfall, EU und Krise. Zwischendurch wird getanzt, Rio Reisers ‚Der Traum ist aus‘ gesungen, die ARD-Tagesschau geschaut, und Christa Wolf kommt auf Besuch. Die atemlose Theatercollage wirft mit großer Leichtigkeit kluge Fragen auf und verliert auch im Expertengespräch nicht ihren Witz.“