Sprechen wir also über Utopie
Von Bärbel Strehlau

Und wenn wir nun über Utopie sprechen, sprechen wir da über eine ferne Zukunft? Können wir das überhaupt? Über die Zukunft sprechen – wer weiß etwas über die ferne Zukunft? Und wer kann da was sagen? Pfarrer, Philosophen, Kinder, Astronomen, Linke, Forscher, Schornsteinfeger, Revolutionäre, Propheten, Indianer…? Ist Utopie ein Ort? Jenseits, der realexistierenden Wirklichkeit im Gegenwärtigen? Oder ist diese ein Möglichkeitsraum? Ein Raum unseres Denkens? Ein Raum im Raum der Gegenwart, der von Allen, die meinen es besser zu wissen, belächelt und keinesfalls ernstgenommen wird! Aber es kann ja jeder machen was er will. Wenn er kann. Das ist sogar Programm und gewollt. – Es macht ja eh nix. Hilft auch nix! – Nur stören dürfen die uns nicht mit ihrem Gesäusel von einer gerechten Gesellschaft – und wenn die damit dann noch andere anstecken, dann nervt das nur. Aber sollen sie nur. Auch das werden wir zu verwerten wissen. Machen wir eine Modeerscheinung daraus! Oder ein Mega-Event mit riesen Einschaltquoten! Nur die Ersten müssen wir sein. Dann haben die keine Wahl mehr. Oder ist es doch ein Zustand, vielleicht? Verborgen in einem Inneren? Im menschlichen Körper verankert! Wie etwa Sehnsucht oder Hoffnung. Aber hoffen, worauf ? Glück vielleicht!? Nee. Wenn schon von Utopie die Rede ist, sprechen wir einmal im Sinne von Zuversicht?!

 

Zuversicht

Also, lassen wir aus allen drei Bänden »Das Kapital« vortragen und hoffen, dass sich eine Handlungsanweisung für die Gegenwart herauslesen lässt. Karl Marx ist schick. Es ist auch schick alle drei Bände von DAS KAPITAL im Bücherregal stehen zu haben. Da stehen sie nämlich gut. Und ich steh links davor. In einer Position. Mit einer Haltung, die da hinaufschaut. Das muss reichen. Man muss schließlich eine Position zu den Dingen beziehen. Politisch denken. Auch das ist ziemlich schick geworden in dieser globalen Unordnung. Kollektiv, stehen wir vor Bücherregalen mit coolen Buchtiteln und gaffen empört durch unsere Fernsehapparate, auf die am Abgrund stehende Welt. In Anbetracht der großen sozialen und politischen Veränderungen, die ich im Fernsehen genau beobachten kann und die mich auf meinem Sofa ganz unruhig hin und her rutschen lassen, überkommt mich – herumrutschend – Angst. Der Anblick des gewaltvollen Terrors und der humanitären Katastrophen, die sich da überall auszubreiten scheinen, geben mir Anlass zu großer Sorge, um den Zustand der Welt.  Es ist von Gespenstern die Rede. Gespenster der ökologischen und ökonomischen Krise. Aber so, wie Karl Marx glaubt doch heute niemand mehr daran, dass Geschichte den Zweck liefern und unser heutiges Handeln bestimmen könnte. Ich blicke fragend aus meinem Fenster und krieg die Krise, weil das mal wieder geputzt werden sollte. Nur von wem? Von mir natürlich. Da blickt ja keiner mehr durch, oder? Ach wie gut dass niemand weiß, … und wenn schon niemand weiß … dann? Dann haben wir immerhin … ein kollektives Nichtwissen! Ist ja auch schon etwas. Richten wir uns also ein in der Krise. Machen wir es uns eben in ihr gemütlich. Versuchen wir sie optimal und ganz individuell zu nutzen; denn der Mensch selbst ist eine Ressource, wenn es schon keine mehr im Erdboden zu finden gibt. Üben wir uns in Selbstoptimierung und unterwerfen uns der Partei,- Wirtschaftspolitik – und Europaparlamentsprogrammen, die zum Himmel stinken. Aber das muss reichen. Alles ist aus den Fugen, wissen wir, aber spüren tun wir nichts. Wir spüren schon lange nichts mehr. Gefühle? Was soll das sein? Maschinen brauchen keine Gefühle. Gefühle machen nur angreifbar und erzeugen Empathie. Das macht verletzlich und ist zu riskant. Der Mensch ist doch eine Katastrophe. Nein, nein. Wo kämen wir da hin mit unserer Krise. Und es ist sowieso zu spät.

Bärbel Strehlau, 2016