von [artfusion] / Bärbel Strehlau, Jakob Beubler & Gästen
Uraufführung: 16.01.15 / Theater Nestroyhof
„Wie vom Ende her alles sich aufklärt. Wie man, wenn man mitten drin steckt, durch keine Anstrengung das Muster erkennen kann, das unter den Erscheinungen arbeitet, weil der blinde Fleck das Zentrum der Einsicht und der Erkenntnis überdeckt.“ (Christa Wolf)
Teil II führt den Diskurs zur europäischen Krise weiter, anhand zweier historischer Ereignisse des 20. Jahrhunderts. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs scheint immer noch ein tiefer Graben quer durch Europa zu verlaufen. Das Stück „Unter Tage“ sucht in dieser offen gebliebenen Wunde nach verschwundenen Utopien. Ausgehend von 1989 wird die verschüttet gebliebene Vergangenheit Europas zutage gefördert. Gleichzeitig werden die aktuellen Geschehnisse Europas und seiner Aussenpolitik beleuchtet. Die Vorführungen gehen nahtlos in Publikumsdiskussionen mit prominenten Gästen über: Jeden Abend wird mit ihnen die Lage Europas diskutiert.
Das Stück:
Berlin. 7. Oktober 1989 in. Palast der Republik. Draußen auf den Straßen demonstriert die Bevölkerung für Demokratie und Freiheit, drinnen feiert die Staatsführung mit Festtagsreden. Erich Honecker, Wächter des Systems feiert in seinem Palast noch immer eisern den 40. Jahrestag der DDR. Der Saal ist leer. Stimmung will sich nicht so recht einstellen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schieben sich ineinander. Während dessen warten drei Verlorene im unterirdischen Bahnhof auf längst schon abgefahrene Züge. An diesem Ort wo die Schreddermaschinen unaufhörlich die Spuren europäischer Geschichte vertilgen treffen sie auf ihre eigene verschüttet gebliebene Vergangenheit. Der Braunkohle-Bergmann Adolf Hennecke, „Aktivist der ersten Stunde“ bohrt sich durch einen zugemauerten U-Bahnschacht und erhält, wie jeden Abend den Orden „Held der Arbeit“ verliehen. Die Loreley in ihrem deutschen Hochmut, verschluckt sich im unterirdischen Fluss an ihrem Lied. Ein Soldat übergibt sich im Schnellfeuer. Der enthauptete Thomas More diskutiert mit Heiner Müller über verlorene Utopien.
Gegen Ende jeder Aufführung werden zwei prominente Gäste zu Darstellern. Sie spielen zusammen mit den Schauspielern, um gemeinsam mit dem Publikum den verschwundenen Utopien der europäischen Gemeinschaft auf den Grund zu gehen.
Das Stück ist Beitrag zum politischen Diskurs: Worin soll nun eigentlich der zukünftige gesellschaftliche Auftrag der Europäischen Union bestehen?
Darsteller: Christina Scherrer, Jakob Beubler, Boris Popovic
Regie, Text, Choreographie: Bärbel Strehlau
Bühnenbild und Kostüm: Stefanie Muther
Dramaturgische Beratung: Petra Freimund
Puppenbau: Atif Hussein
Sounddesign: Bernhard Zorzi
Lichttechnik: Daniel Reinthaller
Tontechnik: Vedran Mandic
Regieassistentin: Luca Pàlyi
Grafik, Design: Emanuel Mauthe
Produktionsleitung & Kommunikation: Simon Hajós
Fotos: Anna Stöcher
Video- und Postproduction: Arno Aschauer / Patrick Spanbauer „On Screen“
von [artfusion] / Bärbel Strehlau, Jakob Beubler & Gästen
Uraufführung: 16.01.15 / Theater Nestroyhof
DIE DISKUSSIONSGÄSTE WAREN:
Herbert Lackner (Chefredakteur profil)
John Megill (FM4 Moderator)
Barbara Tóth (Journalistin beim Falter)
Friedhelm Frischenschlager (ehem. Verteidigungsminister)
André Kühnlenz (Redakteur Wirtschaftsblatt)
Robert Misik (Journalist & Autor)
Susanne Scholl (Doyenne der Auslandskorrespondenten des ORF)
Katrin Wladasch (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte)
André Kühnlenz (Redakteur Wirtschaftsblatt)
Fabian Eder (Filmemacher und Autor)
Kurier / 21.01.2015 / Peter Temel
Unterirdischer Totentanz auf dem Müllhaufen der Geschichte Kritik: „Unter Tage – Goodbye Europe II“ im Theater Nestroyhof Hamakom Erich Honecker feiert 1989 in seinem leeren Palast 40 Jahre DDR, Rosa Luxemburg räsoniert darüber, was sie alles anders gemacht hätte. In „Unter Tage“, dem zweiten Teil der „Goodbye Europe“-Trilogie, lässt Regisseurin und Autorin Bärbel Strehlau im Wiener Nestroyhof Hamakom 25 Jahre nach der Wende Figuren des Sozialismus auf die Gegenwart treffen. Jugendliche warten in einem unterirdischen Bahnhof auf längst abgefahrene Züge, in einem Keller werden Zeugnisse der Vergangenheit geschreddert. Dargestellt von Christina Scherrer, Jakob Beubler und Boris Popovic, machen die Figuren viele Zeitsprünge, vollführen einen schön choreografierten Totentanz auf dem Müllhaufen der Geschichte. Durch die groteske Szenerie und stimmige Musik gestaltet sich der Abend atmosphärisch dicht, die Dramaturgie ist es weniger. In drei Stunden wird vieles nur angerissen. Szenisch gelungen ist hingegen die Überleitung zu einer Polit-Diskussion (bei der Premiere Beate Meinl-Reisinger, NEOS, und Klaus Werner Lobo, Grüne). Interessant zu beobachten, wie rasch man da, ausgehend von Utopien, wieder in der Realpolitik angelangt war.
wieninternational.at / 22.01.2015 / sasch
Unter Tage: Zunächst im Hamakom Theater. Wer hierher kommt, der weiß – leichte Kost wird das vermutlich keine. Denn im Haus am Nestroyplatz wird gerne Intellektuelles geboten. Hier wagt man sich an Stücke heran, die vielen für die Bühne unrealisierbar erscheinen. Gerne wird man auch politisch. So auch in der aktuellen Produktion, die vom Theater- und Kunstverein „artfusion“ umgesetzt wurde. „Unter Tage“ heißt sie und genau dort spielt sie auch: In einem unterirdischen Bahnhofsgelände, das an so manches Amt erinnert. Inmitten dieses Niemandslandes treffen drei aus der Geschichte gerissene Figuren aufeinander. Man jagt historische Ereignisse den Schredder hinunter, telefoniert mit Angehörigen, die von der Geschichte schlecht behandelt wurden, und philosophiert über den Zustand der Welt. Und dieser ist kein guter: Orientierungslosigkeit scheint um sich zu greifen. „Es gibt keine Ideologien, die Leute miteinander verbinden. Nur noch die Musik verbindet“, heißt es im Stück. Ein Gedanke, der dem verstorbenen DDR-Politiker Erich Honecker – er erscheint des Öfteren als Puppe auf der Bühne – so gar nicht zu gefallen scheint. Er proklamiert: Sozialismus als Wissenschaft, die nicht von der Bildfläche verschwunden ist – müde spielt im Hintergrund eine Drehorgel immer wieder die Internationale. Doch was nun, was tun? Neue Ideen, so lernen wir, die finden sich nicht so leicht. Und Putin, neben dem will bei einer einberufenen Konferenz so gar niemand sitzen – kein Problem: er erscheint ohnehin nicht. Klingt nach einem wilden Mosaik – und das ist es auch. Rosa Luxemburg, Heiner Müller, Thomas More und einige mehr, sie alle haben Kurzauftritte. Historische und politische Bildung kann bei diesem Stück also wahrlich nicht schaden. Trotz allem: auch wer nicht bestens informiert ist, kann unterhalten werden. Absurd komische Tanzeinlagen – u. a. eine Parade zu Beginn des zweiten Teils –, wunderbar funktionell wie witzige Kostüme und das hervorragende schrullig-kindliche Spiel von Christina Scherrer lockern die Stimmung enorm. Und dann wäre da noch die Überleitung vom Schauspiel zur Diskussionsrunde, die mit bekannten Gästen aus Politik und Journalismus nahtlos an das Stück anschließt – eine Politdiskussion dieser Art hat man so sicher noch nicht gesehen.